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Wie wird man Barpianist?

Dem Pianisten über die Schulter geschaut

Wer sein individuelles Piano-Repertoire auswendig beherrscht und auch in der Lage ist, die einzelnen Musik-Titel durch Improvisation zu verbinden, der hat im Wesentlichen alle Grundlagen, um als Alleinunterhalter am Klavier aufzutreten. Nun sind die sogenannten "soft skills" gefragt: Vor allem braucht der Pianist ein hohes Maß an Flexibilität, gepaart mit Sensibilität und Einfühlungsvermögen.

Ein Musiker, der schon mit klaren Vorstellungen ans Klavier schreitet, welche Musik, welche konkreten Titel und womöglich sogar in welcher Reihenfolge er sie spielen will, beginnt von der falschen Seite. Viel wichtiger ist es, auf die Signale der Umgebung zu achten und die Klaviermusik entsprechend anzupassen. Der Pianist macht sich ein Bild von der Gesellschaft und von der Feier: Ist es eine Hochzeit, ein Geburtstag, ein Jubiläum, eine Firmenfeier, ein Empfang, ein Gala-Dinner? Ist die Gesellschaft größer oder kleiner? Sind die Gäste jünger oder älter, eher ruhig oder eher lebhaft? Und entsprechend seinen Eindrücken beginnt der Klavierspieler dann mit der Musik, die er am geeignetsten findet.

Wenn der Pianist direkte Rückmeldungen aus dem Publikum bekommt, ist es besonders wichtig, flexibel und unkompliziert darauf zu reagieren. Wünscht sich ein Gast "As Time Goes By", dann ist die Antwort "Warten Sie ganz kurz, ich muss erstmal meinen aktuellen Titel fertigspielen" fehl am Platz. Bittet der Gast um "irgendetwas von Gershwin", dann kann auch die Rückfrage "Was denn konkret?" unpassend sein – womöglich kennt der Gast nämlich gar keine konkreten Titel von Gershwins Kompositionen...

Mitunter muss der Pianist sogar noch flexibler sein. Es kann sein, dass plötzlich ein Gast mit einer Flöte neben ihm steht, "Können Sie mich begleiten?" – Natürlich kann man: "Was würden Sie denn gerne spielen?" – "Ach, einfach ganz frei!" – und der Pianist muss dann schnell eine Begleitung aus dem Hut zaubern, auf die der Flötist gut einsteigen kann. In dem Fall, dass der musikalische Gast auch nach einer halben Stunde noch keine Ermüdungserscheinungen zeigt, der Musikgenuss bei seinem Spiel sich in Grenzen hält und der Gastgeber weit und breit nicht in Sicht ist, muss der Klavierspieler abwägen, wie er die Situation einzuschätzen hat: Soll er dem Flötisten dezent zu verstehen geben, dass er nun mit seinem Barpiano-Soloprogramm weitermachen muss, oder wäre es umgekehrt eher im Sinne des Gastgebers, mit dem Flötisten, der vielleicht ein enger Freund der Familie ist, zusammen weiterzuspielen?

Unvorhergesehene Situationen gibt es nahezu unbegrenzt. Auch nach langjähriger Tätigkeit erlebt man als Pianist immer wieder neues und überraschendes – das macht ja zu einem nicht geringen Teil das Interessante an diesem Beruf aus. Je offener und flexibler die eigene Grundeinstellung ist, je weniger man von hochfliegenden eigenen künstlerischen Visionen und je mehr man von Spontaneität, Neugier und Anpassungsfähigkeit bestimmt ist, desto gelungener wird auch die Tätigkeit als Alleinunterhalter am Klavier ausfallen.

Tipps für Flexibilität bei Ihren Barpiano-Auftritten:

  • Spielen Sie Ihre Piano-Musik zunächst im Kreise Ihrer Freunde oder Verwandten. So können Sie von einem wohlwollenden Publikum ausgehen und müssen nicht das Gefühl haben, um jeden Preis sofort eine großartige Leistung am Klavier erbringen zu müssen. Achten Sie aber auch darauf, dass die Gesellschaft nicht zu klein ist: Wenn Sie nur vor zwei oder drei Freunden spielen, werden diese dazu neigen, Ihnen zuzuhören, als ob Sie ein Konzert als Solo-Pianist geben würden – sie werden sich scheuen, sich zu unterhalten, zu essen und zu trinken, und das macht die Situation für Sie wiederum schwieriger. Hingegen sind 5–10 persönliche Bekannte am Anfang eine recht gute Zahl.

  • Spielen Sie am Anfang nicht zu lang und machen Sie immer wieder Pausen, auch um von den Gästen zu erfahren, wie Ihre Klaviermusik wirkt. Drei Blöcke zu jeweils einer halben Stunde sind für den Anfang schon mehr als ausreichend.

  • Ermuntern Sie Ihre Freunde, möglichst "hart" mit Ihnen zu sein und sich so zu verhalten, wie sie es auch bei einer Hochzeit, einem Empfang oder in einer Piano-Bar tun würden. Lassen Sie die Gäste sich Stücke wünschen und versuchen Sie flexibel darauf zu reagieren, auch wenn Sie einen Musik-Titel nicht kennen oder nicht in Ihrem Piano-Repertoire haben. Dadurch, dass alles "nur Spaß" ist, ist es weniger schlimm, wenn Sie als Klavierspieler eine Blöße zugeben müssen.